In diesem Jahr möchte ich sie mit den schillernden Persönlichkeiten in unserem Leben vertraut machen – unseren Organen, Die herrlichen Beschreibungen stammen von Peter Levin (Soziologe, Religionswissenschaftler und Osteopath) aus seinem Buch „Deine Organe Dein Leben“
Das Herz – zweiter Teil
Stromschnellen und Strudel
Je nach Anstrengung nimmt das Herz 50 bis 240 mal pro Minute Blut in sich auf und schickt dieses durch die eigene Vorraum- und Kammerarchitektur. Dabei fliesst das Blut nicht immer in ordentlich linearer Strömung. Stromschellen und Strudel kommen vor. Das liegt unter anderem daran, dass das Herz in sich wie eine Spirale organisiert ist. Die Herzmuskeln laufen in spiralig gewickelten Bündeln. Bei ihrer Kontraktion zieht sich das Herz nicht perfekt symmetrisch zusammen, sondern verbringt sich in sich selbst. Vorhof und Kammer rotieren gegeneinander wie Tänzen beim Twist. Strudel im Herzen sind dann gefürchtet, wenn sie dazu führen, dass das Blut zum Stocken und Stehen kommt. Wird Blut nicht mehr weitertransportiert, entsteht die Gefahr der Gerinnung und Bildung von Thromben. Thromben, die im linken Herzen entstehen, können dann im Gehirn zu Schlaganfällen führen.
Pulswellen
Herz und Lunge sind die offenkundig rhythmischen Organe. Ihr Rhythmus ist ohne Instrumente und medizinische Fachkenntnisse wahrzunehmen. Mit einem Ruherhythmus von 60-90 Zyklen pro Minute gibt das Herz einen erstaunlich schnellen Beat vor. Dieser Beat wird mechanisch auf den ganzen Körper übertragen.
Aufforderung zum Tanz
Neben der Anzahl der Schläge ist deren zeitlich Ordnung ein klinisch bedeutsames Kennzeichen der Herzaktivität. Das Herz ist ein guter Tanzpartner, es glänzt durch ein gutes Rhythmusgefühl und kann den Takt halten. Unregelmäßige Bewegung sind gefährlich für Herz und Mensch, da sie zu Turbulenzen im Blutfluss führen. Eine flexible Anpassung des Rhythmus auf Anstrengungen ist für ein gesundes Herz typisch. Das leistungsfähige Herz kann schnell beschleunigen, wenn nötig, und kommt dann ebenso schnell zur Ruhe, wenn möglich. Es hält das Leben im Fluss und im Takt.
Links ist stark
Der linke Herzmuskel ist deutlich dicker und kräftiger, weil er mehr gefordert wird. Für Muskeln gilt das gleiche Gesetz wie für das Gehirn: use it or loose it. Ein Muskel, der nicht benutzt wird, verkümmert; ein Muskel, der viel benutzt wird, vergrößert sich. Da das Herz nahezu nur Muskel ist, wird es bei physiologischer Belastung größer und kräftiger. Es kommt bei Sporteln vor, aber auch bei Menschen mit Bluthochdruck. Wird die Elastizität der Gefäße krankheitsbedingt so starr, dass das Herz bei jedem Schlag gegen mehr Widerstand arbeiten muss, kommt es ebenso zu einer Zunahme der Herzmuskeln. Das linke Herz ist größer, denn es pumpt gegen den hohen Widerstand der Gefäße des Körpers an. Somit stimmt die Symmetrie der populären Herzform mit den unterschiedlichen Anforderungen an die beiden Doppelhaushalten nicht überein. Die linke Herzseite erscheint deutlich kräftiger; das anatomische Herz gleicht eher einer ausgebeulten Socke als dem Herzen einer typischen Valentinskarte.
Alles elektrisch
Das Herz besteht fast ausschließlich aus Muskeln. Nun sind diese keine gewöhnlichen Muskeln: sie sind in der elektrischen Fähigkeit einzigartig im Körper. Das Außergewöhnliche der Herzmuskelzellen ist ihre Fähigkeit, sich selbst zu polarisieren. Sie können ohne äussere Stimulation ihr Zellmembranpotential verändern und sich aus eigenem Anlass kontrahieren. Einige Ansammlungen von Herzmuskelzellen haben diese depolarisierende Aktivität so stark entwickelt, dass sie zu Schrittmacherzentren werden. Das Herz kennt zwei dieser spezialisierten Schrittmacherbereiche: einen in den Vorhöfen (Sinusknoten) und einen am Übergang vom Vorhof zur Kammer (AV-Knoten).
Herzgesicht und Herzlichkeit
Wenn es ein Organ gibt, das im Alltag und im allgemeinen Sprachgebrauch ständig herangezogen wird, dann ist es das Herz. Persönliche Mitteilungen und Willkommensäußerungen beginnen oder enden mit einem Herzbezug, denn wer endet schon einen Brief mit filzigen oder darmlichen Grüßen. Herzen haben viel zu geben. Sie neigen dazu großherzig und nicht kleinmütig zu sein; gebend anstatt geizig; zugewandt anstatt angriffslustig. So nehme ich wahr, ob der Mensch dem Menschen ein Mensch oder ein Wolf ist. Wechselseitig können wir die guten Absichten erkennen und zum Anlass nehmen, die Verteidigungslinien zu lockern. In dieser Herzensleistung können Freundschaft und Solidarität entstehen. Diese Erfahrung gemeinsamer Menschlichkeit wird über die beiden Anteile des vegetativen Nervensystems, den Sympathikus und Parasympathikus, reguliert. Der Sympathikus stärkt das Gefühl von Feindschaft und macht Aggression und Verteidigung möglich; er bringt die Gefäße in Spannung und bringt das Herz in Aufregung. Der Parasympathikus trägt das Gefühl der Gemeinsamkeit und der Erfahrung, dass es uns allen in wechselseitiger Anerkennung unserer menschlichen Bedürfnisnatur besser geht. Das parasympathische Nervensystem stimmt Herz, Stimmlage und Gesichtsausdruck aufeinander ab. Die Herzlichkeit in Stimme und Gesicht des Anderen ist eine Einladung, die eigene Aufgeregtheit und Angegriffenheit des Herzens herunterzuschrauben. Das Herz kann dann Misstrauen und Abwehr in eine Geste zugewandter Freundlichkeit umwandeln.
Herzstarre
Gerät das Herz in ausweglose Bedrängnis, beginnt es zuweilen zu flattern und es kommt zuweilen zum Infarkt. Das Herz erstarrt in der der Hypo- oder Hyoperdynamik. Im Infarkt stehen alle Räder still und die unterversorgten Herzzellen sterben ab. Der dabei entstehende Schmerz wird als Vernichtungsschmerz beschrieben: ein Elefant steht einem auf der Brust
Wo die Güte und die Liebe wohnen
Das Herz mag in Güte und Liebe leben. Ungerechtigkeit und Platzbesetzungen kann es nur schwer ertragen. Nicht ohne Grund wird mit dem Symbol des Herzens oft Mut und Gerechtigkeitssinn verbunden.Ein Löwenherz, mutiger Kämpfer für die Gerechtigkeit, zugleich verpflichtet der Fürsorge für die Armen und Kranken. Das Herz wäre Geren dieser edle Ritter und Sankt Martin; als Winnetou oder Zorro immer unterwegs im Auftrag der Liebe und der Güte. Das klingt nach Heiligenlegende und Fantasy-Literatur, aber so würde das Herz gerne sein. Wird ihm diese Dimension völlig abgesprochen oder verunmöglicht, verwelkt es. Wird es gezwungen, gegen seine eigenen Ideale und Fantasien über sich selbst zu Hansen, bricht es zusammen.
Das Herz als Spiegel und Vermittler
Im Herzen treffen zwei geschlossene vaskuläre Systeme aufeinander. Den Herzen wird damit die Aufgabe zuteil, deren verschiedene Rhythmen, Drücke und Fliesseigenschaften zu balancieren. Somit ist das Herz sowohl Rhythmusgeber als auch Vermittler von divergierenden Rhythmen; es vermittelt zwischen Lungenkreislauf und systematischem Kreislauf, zwischen Atmung und Verdauung. Es vermittelt aber auch zwischen Leber und Milz, den beiden rhythmischen Blutorganen des Bauchraums.
Herzloser Ausschluss
Eine Gemeinschaft, die nur zwingende Logik und Tag-Nacht-Gegensätze kennt, tendiert zur Tyrannei. Das Herz ist nicht entweder-oder, nicht schwarz-weiß, es ist das sozialste Organ. Während der Magen sich als wichtigstes Organ der sozialen Vermischung erweist verkörpert das Herz die Notwendigkeit menschlicher Vermittlungsarbeit. Es vermittels zisch rechts und links, zwischen venös und arteriell, zwischen Gehirn und Darm, oben und unten. Das Aussetzen der Vermittlungsarbeit ist mit der Todesdrohung verbunden.
Herzschild
Gibt es Gründe oder Ähnlichkeiten Herz und Darm in Zusammenhang zu bringen? Die chinesische Medizin kreiert Dünndarm und Herzbeutel als Organpaar in ihrem Modellpaar der Wandlungsphasen. Auch im mechanischen Blick der manuellen Medizin lassen sich gewerbliche Verbindungen zwischen Herzbeutel, Zwerchfell und Bauchfell beschreiben. Wie der Dünndarm das Bauchfell als Hülle hat, die Lungen das Brustfell, so hat das Herz den Herzbeutel. Der Herzbeutel ist ein stabile Element, das den dynamischen Aspekten Schutz, Grenze und Halt bietet.