Oktober 2024 Der Zwölffingerdarm – Organbeschreibungen der etwas anderen Art

In diesem Jahr möchte ich sie mit den schillernden Persönlichkeiten in unserem Leben vertraut machen. Die herrlichen Beschreibungen stammen von Peter Levin (Soziologe, Religionswissenschaftler und Osteopath) aus seinem Buch „Deine Organe Dein Leben“

Der Zwölffingerdarm

Die stabile Mitte

In den verschlungen Wegen des Darmes gibt es ein stabiles Zentrum: den Zwölffingerdarm, lateinisch auch Duodenum genannt. Der Name soll ausdrücken, dass er zwölf nebeneinander gelegte Finger lang ist. Der Zwölffingerdarm wird den Dünndarm zu geschlagen. Obschon er als Verdauungs- und Aufnahmeorgan viel mit dem restlichen Dünndarm gemein hat, unterscheidet sich der Zwölffingerdarm aber erheblich von den beweglichen und neugierigen Dünndarmabschnitten, die auch Juneum und Ileum genannt werden. Der Zwölffingerdarm nimmt räumlich und funktionell die Mitte des Bauches und des ganzen Leibes ein. Er liegt tief im Bauch vor der Lendenwirbelsäule und bildet einen stabilen Fixpunkt im ganzen Bauchfell. Da er stark mit der hinter ihm liegenden Faszie verwachsen ist, hält er seine Position in mitten volumetrischen Dynamik des Oberbauches und den räumlichen Verlagerungen des Unterbauches. Diese stabile Mitte ist wie geschaffen dafür, dass Regulative Zentrum der Magen- und Dünndarm Aktivität zu bilden. Er selbst ist kurz und stramm.

Mittler zwischen Magen und Dünndarm

Im Zwölffingerdarm treffen zwei Welten aufeinander. Funktionell ist er der Mittler zwischen Magen und Dünndarm. Er reguliert den Magen und bedient die nach ihm gelegenen Dünndarmabschnitte. Der Zwölffingerdarm bestimmt mit, wie schnell sich der Magen entleeren darf, und er gibt den peristaltischen Rhythmus für die weiter laufenden Darmbewegungen an. Dabei passt er den sauren Speisebrei des Magens an die alkalischen Anforderungen des Dünndarms an. Der Zwölffingerdarm fängt an, wenn der Magen aufhört. Wenn wir die geräumigen Hallen des Empfangsraumes Magen verlassen, wird es am Magenausgang beim Eintritt in den Zwölffingerdarm eng. Wir verlassen die Veranda und gelangen in die schmalen Gänge des Hauses. Dabei führt der Zwölffingerdarm die Besucher mehrmals um die Ecken seiner C-form, als würde er Ihnen die Orientierung nehmen wollen.

Reise um den Bauchnabel

Projizieren wir den tieferliegenden Zwölffingerdarm auf die vordere Bauchwand, erscheint die etwas verzogene Form des Buchstabens C. Zeichnen wir das C nach, erscheint eine Reise um den Bauchnabel. Rechts oberhalb des Bauchnabels,geht der Magen in den Zwölffingerdarm über. Nach einem kurzen Anstieg geht die Zwölffingerdarm Reise dann in einer scharfen Kurve nach unten. Dieser absteigende Teil des Zwölffingerdarms ist besonders interessant, da hier die Gänge und das Sekret der beiden wichtigsten Oberbauchdrüsen einmünden: die Gallenflüssigkeit der Leber und das Sekret der Bauchspeicheldrüse. Nach dem Abstieg dreht der Zwölffingerdarm in einer Linkskurve unterhalb des Bauchnabels über die Mitte auf die linke Körperhälfte. Bei diesem Seitenwechsel steigt der Zwölffingerdarm wiederum etwas nach oben und geht in einer scharfen Haarnadelkurve in den als Jejunum bezeichneten Teil des Dünndarms über.

Point of no return

Wenn der Speisebrei die Mitte des Organs passiert hat, geht es nur noch vorwärts. Retroperistaltik und Erbrechen ist nicht mehr möglich, nur noch vorwärtsgerichtete Peristaltik und Diarrhö. Die Fähigkeit des Magens und des anfänglichen Zwölffingerdarms, Geschlucktes wieder zu erbrechen, schützt diese vor Giften und Stoffen, die sie verletzen könnten. Tatsächlich gibt es im Zwölffingerdarm den „Point of No Return“. Bis zum Galleneingang ist die Rückgabe möglich, weshalb Erbrochenes durchaus gallig und nicht nur sauer schmeckt. Diese Rückgabegarantie wird durch die immunologische Kompetenz der Schleimhaut gewährleistet. Die Schleimhaut des Zwölffingerdarms ist gefährdet bei der Einnahme von Medikamenten und durch Bakterien (Helicobacter pylori). Sie neigt, wie die Magenschleimhaut, zur Bildung von Geschwüre.

Im Drüsenbauch

Der Zwölffingerdarm ist das Zentrum der hormonellen Regulationsprozesse im Drüsenbauch. Die Leberdrüse produziert Gallensaft für den Darm und Hormone, die sie über das Blut den ganzen Körper zur Verfügung stellt. Auch die Bauchspeicheldrüse stellt Sekret für den Verdauungsprozess im Darm und Hormone für den ganzen Körper her. Ins Blut gibt sie Hormone, die Insulin und Glucagon, die den Blutzuckerspiegel regulieren, in dem sie die Aufnahme von Zucker in die Zellen beeinflussen. In der Mitte des Zwölffingerdarms kommen also die Verdauungssäfte der Galle und der Bauchspeicheldrüse hinzu. Der Gallensaft wird für die Aufschwellung der Fette benötigt. Dadurch werden diese leichter verdaulich, was bei einem Mangel an Galle zu Fettverdauungsstörungen führt. Die Enzyme der Bauchspeicheldrüse werden in den Zwölffingerdarm abgegeben und dort aktiviert. Diese spalten Proteine und ihre Aminosäurenbestandteile auf und bereiten sie so für die Aufnahme vor. Vom Darm aus betrachtet sind Leber und Bauchspeicheldrüse als Sekret zuführende Anhangsdrüsen zu betrachten. Dazu kommt noch die Drüsenaktivität der Schleimhaut des Zwölffingerdarms selbst. Die nur in der Schleimhaut des Zwölffingerdarms vorkommenden Brunner – Drüsen produzieren Verdauungssekret und alkalischen Schleim zur Pufferung des sauren Speisepreis aus dem Magen. Zudem stellt die Schleimhaut des Zwölffingerdarms Hormone her, die aktivierend auf die Peristaltik des Magens, der Gallenwege und des Dünndarms wirken können.

Quirliges Drüsenleben

Erstaunlich, quirlig und schöpferisch ist das Leben im Drüsenorgan Zwölffingerdarm. Es geht zu wie in einem fröhlichen Musical oder in einer Werbeagentur: gute Laune ohne Ende. Was aber, wenn die Lasten des Alltags diese quirlige Fröhlichkeit nicht zulassen, wenn ungenügende oder exzessive Mengen aus dem Magen die Freude trüben? Wenn Alkohol den chemischen Prozessen in den Weg kommt? Feucht-fröhliche Alkohol-Exzesse stören diese Region massiv. Ebenso die gefürchtete Protein-und Fett-Überdosis der Grillsaison. Auch der feindliche Dauer-Stress mit Hungerperioden (tagsüber) und spätabendlichen Essen ist der Lebensfreude des Zwölffingerdarms nicht zuträglich. Er mag die Drüsen anregende Wirkung der Bitterstoffe, fürchtet aber die Gefahr der Bitternis bei übermäßige Aktivierung.

In Ruhe aktiv: Kehrwoche

In der Darmwand des Zwölffingerdarm findet sich ein weit verzweigtes, darmeigenes – daher in enterisch genanntes – Nervensystem. Dazu sehr aktive, in der Muskulatur gelegene Schrittmacherzellen. Diese depolarisieren sich regelmäßig und führen selbst in Ruhephasen, also ohne stimulierende Dehnung durch Nahrung, zu Darmbewegungen. Die Frequenz der Ruhe-Peristaltik des Zwölffingerdarms ist eine der höchsten im Magen-Darm-Trakt. In den Phasen zwischen den Mahlzeiten stellt die Ruhe-Peristaltik eine Reinigungsaktivität da. Der Darm liegt nicht auf der faulen Haut, er macht Hausputz und Kehrwoche. Kommt dann Speisebrei in den Magen, wird diese Aktivität erhöht und die Nahrungsbestandteile durch die Enzyme weiter aufgespalten.

Arbeit am Stoff

Der Zwölffingerdarm ist der große „Verdauer“, er bearbeitet die Nahrung in seinem Innenraum. Der Zwölffingerdarm zeigt, dass Verdauung mit Umwandlungsprozessen einhergeht; und er gibt klar zu erkennen, dass diese Verwandlung mit Arbeit verbunden ist. Der Zwölffingerdarm und die weiteren Dünndarmabschnitte bereiten die Stoffe der Nahrung so vor, dass sie als Stoffwechselprodukte ins Innere des Organismus aufgenommen werden können. Alles, was im Darm ankommt muss verändert und an Transportmittel gebunden werden, so dass es durch die entscheidende Barriere der Schleimhaut gelassen werden darf. Die Aufnahmen der vom Zwölffingerdarm aufgeschlüsselten und gebundenen Stoffe findet in den folgenden Dünndarmabschnitten statt. Im Zwölffingerdarm und anfänglichen Jejunum werden die Mineralstoffe (zum Beispiel Eisen) aufgenommen. Dass Jejunum übernimmt den größten Teil der Aufnahmearbeit, da es Fette und fettlösliche Vitamine und mit dem Ileum zusammen auch Aminosäuren, Kohlenhydrate und wasserlösliche Vitamine herein lässt. Der Zwölffingerdarm beginnt den Dünndarm-Prozess, das Ileum beendet ihn.

Eisen, Erde, Erys

Eisen braucht der Körper für Verbrennungs- und Heilungsprozesse. Es kommt zuhauf in der Erde und in der Nahrung vor. Die besondere Stellung des Zwölffingerdarms zwischen irdischen Eisen und den Bedürfnissen der Organgemeinschaft ergibt sich daraus, dass er sowohl der Ort der Eisenaufnahme ist als auch eine erste Speicherfunktion übernimmt. In der Regulation des Eisenhaushalts arbeiten Zwölffingerdarm und Leber eng zusammen. Die Leber stellt einerseits die Spezialtransporter her, in denen das toxische Eisen auf dem Blutweg zu den wichtigsten Abnahmestellen im Knochenmark, Milz und Leber gebracht werden kann. Andererseits produziert die Leber auch ein Hormon, dass dem Zwölffingerdarm mitteilt, wie viel Eisen aufgenommen und mobilisiert werden soll. Während die Leber Eisen speichert, wird das Eisenmolekül im Knochenmark in die entstehenden roten Blutzellen eingebaut. Im menschlichen Organismus nimmt das Eisen einen zentralen Platz ein. Dort, wo in den Erys das Eisen Platz nimmt, sitzt im Chlorophyll der Pflanzen das Magnesium; ein Vergleich, den wir bei der Lunge nochmals aufnehmen.

Gallen Recycling

Die Gallenflüssigkeit enthält neben Wasser auch wichtige Stoffe, die der Körper nicht verlieren will, da sie dann aufwändig neu produziert werden müssten. Nachdem die Galle im Zwölffingerdarm ihre fettaufschwemmende Wirkung entfaltet hat, wird sie mit dem Speisebrei weiter transportiert. Am Ende des Dünndarms wird das Recycling System der Galle aktiv. Bis zu 95 % der Gallenbestandteile werden wieder ins Blut aufgenommen und zu dem Körper zugeführt. Mangelnde Rückresorption der Galle am Ende des Dünndarms ändert die Konsistenz des Speisepreis und lässt Durchfall entstehen.

Ekel und Stolz

Unzumutbare Speisen und Situationen lösen in uns Übelkeit und Erbrechen, aber auch Ekel aus. Falls wir unsere Nase nicht getraut oder etwas Übles schmecken, das wir gegessen haben, entsteht in dieser Region der Ekel und das erlösende Abstoßen im Erbrechen. Das „nein“, dass sich Nase und Magen nicht getraut haben, auszusprechen, hier im Zwölffingerdarm kommt es vehement und mit Ekel. Manchmal reicht es auch, wenn wir Zeuge einer solchen Situation werden; diese Erfahrungen rühren an unser innerstes Gefühl der Selbstachtung. Wenn es Organe gibt, die sich eigenen, verletzten Stolz auszudrücken, wäre der Zwölffingerdarm ein guter Anwärter für eine solche Aufgabe. Wir wissen, dass Bitterstoffe in Essen die Drüsen zur Verdauungstätigkeit anregen, Verbitterung aber zu Erkrankungen im Zentrum des Drüsenbauches führen kann.